Eigentlich will ich schon länger mal von dieser kleinen Erfahrung erzählen. Weil sie für mich eine ganz besondere war. Eine Einladung nach Stuttgart. Ein Workshop. Die Idee: mystische Texte einmal nicht zu lesen sondern zu spielen. Ich sehe krause Nasen, während ich das schreibe. Die einen, die Mystik lesen und spannend finden, vielleicht mit dem leichten Entsetzen, dass diese verschlossenen, besonderen Texte nun Gegenstand eines einfachen Theaterspieles werden sollten, die Spielleidenschaftlichen eher skeptisch: gibt es nix Spannenderes als Mystik, um damit auf die Bühne zu gehen?
Ja, Bühne und nein, es gibt nicht viel Spannenderes, obwohl, ich gestehe, die Experimente sind noch am Anfang. Genauso wie die, die kamen, ungefähr die Hälfte, weil sie spielen wollten und wussten, dass ich Clownin bin, die andere Hälfte, weil sie, wie sie selbst sagten „immer kommen, wenn es um Mystik geht“.
Wir haben uns miteinander angewärmt, Freude und Trauer, gute und schlechte Laune, Sieg und Niederlage mit unseren Körpern ausgedrückt, sind schnell und langsam gegangen und langsam oder schnell in unsere körperliche Präsenz gerutscht. Dann die kleine, einfache Aufgabe: zu dritt eine lebendige Skulptur zu zwei oder drei Zeilen eines Textes ausdenken, um sie den anderen vorstellen zu können. Zum Beispiel „du sollst die Gefangenen losbinden und die Selbstherrlichen bändigen“. Wir anderen haben zugeschaut, nicht wissend, nach welchen Zeilen sich die drei jeweils aufstellten. Wir haben zugeschaut und erzählt, was wir sehen, um zu raten, was es wohl darstellen soll. Leider, leider habe ich keine Bilder gemacht. Sie waren eindrücklich, all die Körperbilder, die Stück für Stück einen Text von Mechthild von Magdeburg zusammensetzten, der insgesamt so geht:
Du sollst das Nichts lieben,
du sollst das Etwas fliehen,
du sollst für dich sein
und sollst dich an niemanden wenden,
du sollst unermüdlich tätig sein
und doch von allen Dingen frei,
du sollst die Gefangenen losbinden
und die Selbstherrlichen bändigen,
du sollst die Kranken erquicken
und selbst doch nichts besitzen,
du sollst das Wasser der Pein trinken
und das Feuer der Liebe mit dem Holz der Tugenden entzünden!
So bist du in der wahren Wüste zu Hause.
Mechthild von Magdeburg, das fliessende Licht der Gottheit, Buch 1, Kap. 35
Was so erstaunlich war: in dem wir es spielten, kamen wir darauf, wie nahe die Erfahrungen dieses Textes unseren Erfahrungen sind. Es fühlte sich verwandt an, was sie schreibt und wir heute erleben. Die Mystik hatte ihr Geheimnis verloren und dafür Verstehbarkeit gewonnen. Durch das Spiel und durch das Gespräch, das wir über unsere Darstellungen miteinander hatten.
Seither bin ich darauf aus, das mit anderen Menschen wieder probieren zu können!