Ich bin gerade beim Bibliodrama-Symposion in der Propstei Wislikofen im Aargau. Beim Bibliodrama wird ein Bibeltext sozusagen dreidimensional. Wichtige Elemente eines Textes bekommen einen Platz im Raum zugewiesen. Ich wähle einen Ort und an diesem Ort eine Rolle. Und dann komme ich mit den anderen ins Spiel. Die Bibelgeschichte und meine Lebensgeschichte berühren sich. Ich kann Erfahrungen mit meinem Glauben, Suchen und Fragen machen und anderen Erfahrungen begegnen.
Das Symposion dient der Weiterentwicklung der Bibliodrama-Methode. Gerade eben haben wir einen Vortrag des Theologieprofessors Hans-Joachim Sander aus Salzburg gehört. Es ging um die Bedeutung der Orte im Bibliodrama und ganz besonders um die Bedeutung von Anders-Orten oder Heterotopien. Ein Anders-Ort ist ein Ort, der etwas Anderes ins Spiel bringt, als das, was bisher zu den Selbstverständlichkeiten meines Lebens gehört hat. Klassisches Beispiel für einen Anders-Ort ist der Friedhof. Ein Besuch auf dem Friedhof durchbricht die Selbstverständlichkeit, dass mein Leben einfach immer weitergehen wird und fordert mich dazu heraus, mit meiner Endlichkeit umzugehen. Ein Anders-Ort in Bibeltexten ist oftmals der Ort, an dem Gott ins Spiel kommt. Dann kommt es manchmal zu dem Ausruf des biblischen Jakobs, der dem Symposion den Titel gegeben hat: „Ach, Gott ist an diesem Ort und ich wusste es nicht.“
Auch Gesellschaften haben ihre Anders-Orte. Lampedusa oder Idumeni sind solche Orte. Sie durchbrechen die Selbstverständlichkeit, dass wir hier in Europa unser Leben leben können und die Auswirkungen von Krieg, Armut und Klimaveränderung irgendwo draussen, ganz weit weg bleiben. Sie fordern uns dazu heraus damit umzugehen, dass wir ein Teil der Welt und die Millionen von Menschen auf der Flucht unser Problem sind.
Ein Anders-Ort, eine Heterotopie, ist – anders als eine Utopie, die es noch nicht gibt, die wir erst in der Zukunft anstreben – ein realer Ort, den es wirklich gibt und den man/frau erfahren kann. Ist das bedingungslose Grundeinkommen eine Heterotopie oder eine Utopie? Das bedingungslose Grundeinkommen gibt es noch nicht, schliesslich stimmen wir erst nächste Woche darüber ab. Insofern ist es noch eine Utopie. Aber es gibt durchaus reale Erfahrungen damit, die manche unserer Selbstverständlichkeiten durchbrechen und uns herausfordern. Von Bibeltexten war hier schon die Rede. Aber auch in der Erklärung der Menschenrechte klingt das an. Alle Menschen sind von Geburt an gleich. Also sollte diese Ausgangslage doch auch im Sozialen gesichert werden. Und in den Genossenschaften und Bürgerkorporationen sind damit schon soziale Erfahrungen gesammelt worden. Der gemeinsame Besitz dient dem Leben aller.
Haben wir mit all dem nicht schon sehr gute Erfahrungen gemacht, auch wenn sie so manche scheinbare Selbstverständlichkeit durchbrechen?
Peter Zürn